Jasmin Werner

Skalalogiens skærsild

30.03.2024 - 26.05.2024

Zu Ostern eröffnet in der Kunsthalle Thy in diesem Jahr Jasmin Werners Ausstellung Skalalogiens Skærsild (Fegefeuer der Scalalogie). Das Osterfest, das höchste Fest der christlichen Kirche, feiert den Abstieg Jesu Christi in das Reich der Toten und seine Wiederauferstehung.

Ob Jesus selbst nach seinem Tod im Fegefeuer war ist umstritten, was daran liegen kann, dass es keine einheitliche Vorstellung von dem Fegefeuer gibt. Es ist der fiktive Ort in der Welt der Toten, wo darüber entschieden wird, ob es in der Folge hinauf in den Himmel oder hinab in die Hölle geht. Während man es sich lange Zeit im mitteleuropäischen Raum als ein strafendes Feuer vorstellte steht andernorts der reinigende, klärende, kathartische Aspekt im Vordergrund. Der Titel „Im Fegefeuer der Scalalogie“ Verweist also auf die Scalalogie als einen Bereich des Übergangs, aber auch einen Bereich der Reinigung – Einen fiktiven Ort, an dem man gefangen gehalten werden kann – Einem Ort zwischen den Welten, zwischen Oben und Unten.

Die Vorstellung der Aufteilung der Welt in ein Oben und ein Unten ist wahrscheinlich so alt wie der Blick in den Himmel und die Sterne selbst. Genauso alt scheint das Bedürfnis den Bereich dazwischen zu strukturieren. Hierbei kann es um die Idee eines persönlichen oder symbolischen Auf- oder Abstiegs gehen oder die Verortung des Menschen innerhalb religiöser oder politischer Weltbilder. Oft wird hierfür das Bild der Stufen und mit ihrer Aneinanderreihung das Bild der Treppe bemüht.

Die Beschäftigung mit diesen Strukturen – den Treppen – ihren unterschiedlichen kulturellen Prägungen, ihrer Ikonographie, den pragmatischen Bedingungen ihrer Formen und ihren Gesetzen unterhält das Forschungsfeld der Scalalogie, das Friedrich Mielke 1951 begründete. Jasmin Werner widmet sich seit 2016 der Scalalogie und entwickelt seitdem einen historischen, symbolischen, religiösen aber auch sehr persönlichen Zugang zu Treppen. Sie entwirft und baut selbst skulpturale Treppen, integriert sie in raumgreifende Installationen und zeigt sie als Träger von Informationen, die weit über ihren Nutzwert hinausgehen.

In der Kunsthalle Thy werden fünf von Jasmin Werners Treppenskulpturen gezeigt, die ursprünglich für den Kunstverein Hannover angefertigt wurden. Den Durchblick durch die Treppenläufe nutzt Jasmin Werner, indem sie hinter einige der Treppen großflächige Collagen aufspannt. Sie thematisieren die Idee der ordnenden, strukturierenden Kraft von Treppen, zeigen auf welche Kulturen sich dieser Bildlichkeit bedienen und in welchen Bereichen sich augenscheinlich sehr unterschiedliche Vorstellungen einer „gestuften“ Weltordnung überschneiden. So zitiert sie mit der Collage auf einer der Unterseiten der Treppen auf grünem Grund die Islamische Kosmologie. Die Planetenordnung mit neun Ringen, auf denen Mond, Merkur, Venus, etc. ihre Bahnen ziehen ist der Aufteilung der Unterwelt in neun ringförmige Stufen des Abstiegs in Dante Alighieris Inferno sehr ähnlich. Interessanterweise startet Dante seine Reise in die Unterwelt ausgerechnet am Karfreitag, dem Tag, an dem nach der Christlichen Mythologie Jesus Christus, zum Tode verurteilt an das Kreuz auf dem Berg Golgatha gehängt wurde. Eine weitere Collage auf rosa Grund zeigt Textpassagen und Skizzen von Lennart Kvarnström, welcher in den siebziger Jahren das Steigeverhalten untersucht hat, zusammen mit einer religiösen Treppe. Auf gelbem Grund zu sehen ist eine Figur aus der Antike, wie sie eine Leiter erklimmt.

Die meisten Treppen, denen wir begegnen sind genormt, sodass wir beim Erklimmen leicht bemerken, ob auch unser eigener Körper der Norm entspricht. Überwindet man eine Treppe mit Leichtigkeit? Muss man auf die Stufen achten und sich konzentrieren, um nicht zu stolpern? Oder muss man sich vielleicht sogar bei jedem einzelnen Schritt anstrengen? Denn tatsächlich sind unsere Körper und die Arten wie wir gehen so unterschiedlich, dass eigentlich jeder Mensch seine eigene Treppe bräuchte.

Die Form in der Jasmin Werners Treppenskulpturen präsentiert werden bricht mit der Norm. Ihre Treppenskulpturen hängen im Raum, keine der Treppen berührt den Boden und keine der Treppenneigungen wirkt gewöhnlich. Sie verweisen darauf, dass unterschiedliche Ausgangspunkte für unterschiedliche Formen des Aufstiegs gibt. So wie jeder Lebensweg, der sich Schritt für Schritt und Stufe für Stufe entwickelt unterschiedlich beginnt. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob man in der Stadt geboren ist, wo es Schulen zur Auswahl gibt oder auf dem Land, wo man sich seine Schule nicht immer aussuchen kann. Es macht einen Unterschied ob man in einer wohlhabenden Familie groß wird, in der es keine Rolle spielt wieviele Museen oder Konzerte besucht und Länder bereist werden können oder in einer Familie, die auf jeden Cent achten muss. Es macht einen Unterschied, ob die eigenen Eltern lange auf der Schule waren und vielleicht sogar studiert haben oder, ob sie die Schule so schnell wie möglich verlassen haben und nicht vom studieren sondern nur vom arbeiten erzählen können. Und es macht einen Unterschied, ob die eigenen Eltern aus ihrem Heimatland geflohen sind, um sich ein neues Leben in der Fremde aufzubauen, während ihre Kinder hier ihre ersten eigenen Schritte gehst.

Um die erste Stufe erklimmen zu können muss man sich vielleicht weit strecken oder sogar springen und einen Sturz riskieren. Zu manchen Treppen müsste man sich abseilen oder eine Leiter bemühen. Doch woher bekommt man die Ausrüstung, kann man sie allein bedienen oder braucht man dafür eine Ausbildung oder vielleicht die Hilfe einer weiteren Person? Manche Treppen werden unerreichbar bleiben egal wie sehr man sich bemüht. Und selbst wenn man es geschafft hat die erste Stufe zu erklimmen ist der Aufstieg noch nicht gewiss, denn die unterschiedlichen Neigungswinkel der Stufen machen jeden Schritt zu einer Herausforderung.

Jasmin Werners Treppen laden ein den Blick für Treppen und ihre Besonderheiten zu schärfen und die Bewegungsabläufe, die sie dem Körper abfordern, nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Sie lassen aber auch an die ganz persönlichen Aufstiege, die Herausforderungen, die damit verbunden sind und die Anstrengungen, die sie bedeuten denken und zeigen, wieviel Potential in einem ersten Schritt stecken kann.

Jasmin Werner studierte an der HFG Karlsruhe, der Gerrit Rietveld Academie und schloss 2016 ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste Städelschule, Frankfurt am Main als Meisterschülerin von Peter Fischli ab. 2017 war sie Stipendiatin am National Museum of Modern and Contemporary Art Seoul. 2022 erhielt sie die Callie’s Studio-Residenz in Berlin und die KKV-Workshop-Residenz in Malmö. Ihre Arbeit wurde unter anderem im Kunstverein Braunschweig, im Bärenzwinger (Berlin), im Museum Folkwang (Essen), bei Damien & The Love Guru (Brüssel), in der Galerie Guido W. Baudach (Berlin), in der DuMont Kunsthalle (Köln) und in der Bundeskunsthalle (Bonn) gezeigt.

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