Judith Hopf

Thy Énergies

29.03.2025 - 01.06.2025

Betritt man Judith Hopfs Installation Thy Énergies stößt man auf drei temporäre Wände, die wie eine Filmkulisse in die Scheune des alten Gehöfts gesetzt wurden. Zusammen bilden sie einen langen Raum, auf dessen Wänden ein abstraktes „Allover“-Wandgemälde zu sehen ist. Blaue, grafische Striche stellen einen stilisierten Regen dar. An der Stirnwand des Raumes ist eine weitere, korrespondierende Wandarbeit zu sehen, die mit einfachen Strichen Sonnenstrahlen evoziert. Wetter - dieses „crypto-dämonische“ Phänomen - ist in dieser Ausstellung ästhetisches Stilmittel.

Das hier dargestellte Mengenverhältnis von Regen und Sonne entspricht in etwa dem zeitlichen Vorkommen des Wetters in der Region Thy. Hier lebt man mit potenziell neun Monaten Regen und drei Monaten Sonne. Doch die Wahrnehmung wandelt sich, wie wir beobachten können: Das sogenannte „schlechte Wetter“ Regen ersetzt inzwischen als durchaus willkommenes Ereignis das vormals „gute Wetter“ Sonne. Die Kategorien von Wetter geraten ganz grundsätzlich ins Wanken. Paradoxerweise wird die Sonne und ihre wärmende, helle Energie zum Problem dieses Wandels und ist gleichzeitig Hoffnung, diesen Wandel aufhalten zu können: ihre Strahlen werden in großen Solarfeldern aufgefangen und in Energie und in Strom umgewandelt.

Solche „Solarpaneele“ finden wir auch in Judith Hopfs Ausstellung. Zusammen mit ihrer Videoarbeit LESS hat Hopf sich mit den Paneelen der virulenten Diskussionen angenommen, die ihr in vielerlei Formen begegnen, wenn sie in ihrem „Landatelier“ im Norden Brandenburgs arbeitet. Im Video LESS (2022), das auf der Rückseite einer der Wände in der Kunsthal Thy läuft, kriechen Schnecken, die sympathischen Protagonist*innen des Videos, zielstrebig auf einen Solarpark zu, um ihn zu besiedeln - mit realen Effekten: die Paneele werden von den Schnecken aktiv verändert - und genau darum geht es Hopf: die Aneignung aktuell relevanter Technologien durch unerwartete, scheinbar weniger relevante User, mit markanten Resultaten.

Schnecken sind standorttreu, anpassungsfähig und in Sachen Energieeffizienz wahre Weltmeister. Sie bewegen sich mit 7 cm in der Minute vorwärts, einem Tempo, das es ihnen ermöglicht, ihren Energieverbrauch sehr gering zu halten. Im Gegensatz dazu sieht die Bilanz des Menschen zunächst düster aus. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das seinen Energiebedarf niemals zu decken scheint, sondern im Gegenteil von Jahr zu Jahr mehr Energie benötigt.

Für Judith Hopf sind die Bewegungsabläufe der Schnecken Anlass, sich dieser Diskrepanz anzunehmen. Sie widmet sich mit ihrem Video und ihren „Solarpaneelen“ der Ernsthaftigkeit unserer derzeitigen, vielfach in Zweifel gezogenen Versuchen, dem fossilen Energieverbrauch mäßigend entgegen zu wirken genauso wie der Ernsthaftigkeit, mit der die Schnecken ihrer Wege ziehen. Der Unermüdlichkeit dieser Versuche eignet gleichermaßen eine gewisse Idee der Müdigkeit, oder zumindest einer Langsamkeit, wie, andererseits, eines unentwegten Optimismus, dass es doch gelingen möge: diese unsere Lebenswelt zu einer besseren zu machen. Wobei die Schnecken eventuell einen ungleich größeren Beitrag leisten.

Währenddessen scheint weiterhin die Sonne, und es regnet der Regen - draußen in echt und drinnen in abstrahierter Strichform, auf den Wänden der Kunsthal Thy.

Text von Marina Rüdiger und Judith Hopf

CV
Judith Hopf (geb. 1969 in Karlsruhe, Deutschland), Hochschule für Bildende Künste, Bremen (1990–92), Hochschule der Künste, Berlin (1992–96), Meisterschülerin bei Prof. Katharina Sieverding. Seit 2008 ist sie Professorin für Bildende Kunst an der Städelschule in Frankfurt am Main. Hopf lebt und arbeitet in Berlin.

Ausgewählte Solo- und Gruppenausstellungen
CMYK, Deborah Schamoni, München (2025), LOOP STOP, kaufmann repetto, New York, USA (2024); KölnSkulptur #11, Köln, Deutschland (2024–2026); Minneapolis Sculpture Garden, TheWalker Art Center, USA (2024); Endless Exhibition, Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart, Berlin, Deutschland (2023); Antéfutur, Capc – Musée d’art contemporain de Bordeaux, Frankreich (2023); Énergies, Bétonsalon – centre d’art et de recherche, Paris, Frankreich (2022); Énergies, FRAC île-de-france, Paris, Frankreich (2022); GROW, kaufmann repetto, Mailand, Italien (2021); Crip Time, Museum MMK für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, Deutschland (2021); ALIFI, Metro Pictures, New York (2019); Stepping Stairs, KWInstitute for Contemporary Art, Berlin, Deutschland (2018); Hammer Projects, Hammer Museum, Los Angeles (2017); MORE, Neue Galerie, Kassel, Deutschland (2015); UP, Museion, Bozen, Italien (2016); Le Grand Balcon, La Biennale de Montréal (2016); C-salen, Malmö Konsthall, Schweden (2012); dOCUMENTA (13), Kassel, Deutschland (2012).

www.judithhopf.com

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