Silas Inoue
Zen Wakarimasen
08.06.2024 - 04.08.2024
Im frühen Japan entstand der Zen-Garten als eine minimalistische Gartenart, inspiriert von der Ästhetik und Philosophie des Zen-Buddhismus. Die Gärten wurden gestaltet, um spezifische, großartige Naturgebiete durch wenige, abstrakte Elemente wie Sand, Kies, Steine und Moos nachzubilden. Der Zen-Garten ist eine eigenständige Kunstform, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat und selbst ein Beispiel für ein mehrdeutiges kulturelles Phänomen ist, das bei dem Versuch, die Natur darzustellen, ebenso sehr zeitliche Bilder schafft, die die menschliche Wahrnehmung der Welt und seiner selbst widerspiegeln.
Mit der Ausstellung “Zen Wakarimasen” (japanisch für “Ich verstehe Zen nicht”) in der Kunsthal Thy lädt Silas Inoue zu einer Diskussion darüber ein, wie kulturelle Codes in unserer globalisierten Realität vermischt und missverstanden werden können. Gleichzeitig untersucht die Ausstellung die faszinierende und beunruhigende Entwicklung im technologischen Bereich in Bezug auf die Natur, die Menschheit und eine mögliche Zukunft auf fernen Planeten. Ausgehend von der traditionsreichen Form des Zen-Gartens entsteht eine neue, unberührte Landschaft, die Fäden zwischen Vergangenheit und Zukunft, Landwirtschaft und Raumfahrt, Handwerk und Philosophie webt und auf hoffnungsvolle wie auch dystopische Weise einige der Herausforderungen unserer Zeit anspricht.
Mit dem Werk “Genepool” greift Silas Inoue auf traditionelle japanische Tempelarchitektur zurück. Die charakteristischen Dächer sind mit einer Mischung aus Menschen- und Kunsthaar, Fell und Tierhaar bedeckt. Wild und abstehend scheinen sie wie ein Vokuhila gestylt zu sein, eine Frisur, die hierzulande den wechselnden Moden entspricht, aber auch eine radikalere Form des Aufruhrs in den 70er- und 80er-Jahren in Japan symbolisiert, assoziiert mit jugendlichen Motorradbanden. Das gesammelte Haar bildet gleichzeitig einen zeitgenössischen Genpool, der künstliche und natürliche genetische Informationen bewahrt und für die Nachwelt erhält.
Auf einer großformatigen Zeichnung porträtiert Silas Inoue eine Nacktmullkönigin. Ähnlich wie Bienenvölker organisiert sich eine Nacktmull Kolonie um eine „Königin“ herum, welche als einzige in der Lage sich fortzupflanzen. Nacktmulle sind Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, weil ihr Blut ein Protein enthält, das beim Menschen nach dem zwanzigsten Lebensjahr erheblich abnimmt. Dieses Protein könnte der Grund sein, warum Nacktmulle, im Gegensatz zu anderen Nagetieren, keinen Krebs bekommen und wesentlich länger leben. Die Quallenart “Turritopsis Dohrnii”, deren vergrößertes Porträt ebenfalls im Zen-Garten zu sehen ist, ist auf ähnliche Weise ein Forschungsfeld für lebensverlängernde Technologien. Im Gegensatz zum Nacktmull gilt sie jedoch als unsterblich. Indem sie ihre eigenen Körperzellen in Polypenkerne umwandelt, die wiederum neue Quallen erzeugen, die genetisch identisch mit dem Ursprungskörper sind, kann die Qualle ihren Lebenszyklus unendlich oft neu beginnen. Dass Silas Inoue dieses Porträt aus Zucker formt und in Öl eintaucht, erinnert daran, wie wichtige Nährstoffe und Energiequellen für unseren Körper problematisch werden und das menschliche Leben verkürzen können, wenn das Gleichgewicht zwischen ihnen und dem Körper gestört wird.
Die Idee, dass lebensverlängernde Maßnahmen auch das Leben verkürzen können, ist ebenfalls das Thema des Werks “Conditioner”. Tausendfüßler gibt es in allen Teilen der Welt, und sie haben diesen Planeten seit über 400 Millionen Jahren bewohnt, was weit länger ist als die Menschheit. Sie spielen eine wichtige Rolle im Kreislauf der Natur, da sie organisches Material zersetzen und Kompost produzieren, der als wichtiger Dünger dient. Silas Inoue erschafft einen Tausendfüßler aus Bronze, der scheinbar seiner eigenen Schwanzspitze nachjagt, was nicht nur auf organische Zyklen verweist, sondern auch an die Form von Heiz- und Kühlspiralen in modernen Klimaanlagen erinnert. Systeme, die mit dem Klimawandel eine immer wichtigere Rolle spielen. Bei extremer Hitze oder Kälte machen sie unsere Lebensräume bewohnbar, aber ihre Abwärme und ihr Energiebedarf beschleunigen den Klimawandel, der so scheinbar unvermeidlich wird.
Um den Energiebedarf für neue Gebäude zu reduzieren, entwickelt das Unternehmen BioMason aus North Um den Energiebedarf für neue Gebäude zu reduzieren, entwickelt das Unternehmen BioMason aus North Carolina Biobeton. Sie arbeiten mit Bakterien, die in der Natur Sand in harten Sandstein verwandeln. Der Beton kann ohne gebrannten Zement hergestellt werden, was die CO2-Emissionen erheblich reduziert. Silas Inoues Werk “System” besteht aus diesem Biobeton. Das Relief symbolisiert den Prozess der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Natur. Im Zentrum des Reliefs ist eine Muschel zu sehen, aus der ein wurzelähnliches Nervensystem wächst, das in seiner Größe einem Menschen ähnelt. Es entsteht eine Verbindung zwischen natürlichen und künstlichen Organismen, die uns eine mögliche Zukunft ohne fossile Brennstoffe überdenken lässt. Das Relief steht aufrecht gehalten durch eine Armierung, die an einen mannshohen Schlitten erinnert in dem roten Sand, der den Boden der ehemaligen Scheune der Kunsthal Thy bedeckt.
Der Untergrund im Zen-Garten besteht aus einer besonderen Art von Erde, die aus dem Salten Wald in der Nähe von Silkeborg stammt, wo der Eisengehalt höher ist als anderswo in dänischen Böden, was der Erde eine rote Farbe und magnetische Eigenschaften verleiht. Die Oberfläche des Mars ist von einer ähnlich eisenhaltigen roten Staubschicht bedeckt, und da es noch nicht möglich ist, Marsstaubproben zu sammeln, sind Bodenproben aus dem Salten Wald ein Teil der weltweiten Marsforschung.
Im Gegensatz zu den traditionellen Zen-Gärten, die als meditative Praxis von Hand geharkt werden, wird die rote Erde in der Ausstellung von einer handgefertigten Harke bearbeitet, die von einem Roboter der Aarhuser Firma Capra Robotics getragen wird. Der Roboter wurde speziell für die Ausstellung entworfen und ist mit Eichenholz vom Tischlereibetrieb Alba verkleidet. Wie die Erkundungsrover, die seit Jahren auf dem Mars fahren und Daten über die Oberfläche des Planeten sammeln, fährt der Roboter durch den roten Sand, während die Harke die gezogenen Spuren wieder verwischt. Gleichzeitig lässt die Art und Weise, wie der Roboter harkt, die gesamte Installation wie einen Acker im Weltraum erscheinen. Die Pfade, die der Rover durch die Kunsthalle zieht sind im Vorfeld von Studierenden der Technischen Universität Dänemarks programmiert, und die Realisierung des “Rovers” und seiner Wege durch den Sand wären ohne die Zusammenarbeit dieser innovativen Partner nicht möglich gewesen.
Sowohl als Ganzes als auch durch die verschiedenen Werke regt “Zen Wakarimasen” zu Diskussionen über Kulturen, Generationen und geografische Zugehörigkeiten an. Die Ausstellung bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Zukunftsdystopie und technologischem Optimismus; auf der einen Seite wird Bescheidenheit und Koexistenz mit der Natur gefeiert, die das traditionelle Fundament des Zen-Gartens bilden, während auf der anderen Seite eine tief verwurzelte menschliche Rastlosigkeit und ein ungebändigtes Streben nach ewigem Leben, unendlichen Ressourcen und unendlichem Wachstum offenbart werden. Inoues Ausstellung versucht, sich von dem gegenwärtigen politischen Fokus auf Spaltung abzuwenden und die Grundlage für ein vielschichtiges Verständnis von Problemen als verflochtene, komplizierte und verknüpfende Situationen zu schaffen. Aber in ihrer Neugier auf Studien und Entwicklungen von Robotern und nachhaltigen Materialien weist die Ausstellung auch auf hoffnungsvolle technologische Maßnahmen hin und auf verbesserte Lebensbedingungen auf der Erde, anstatt auf eine mögliche Kolonisierung des Weltraums.
Der dänisch-japanische Künstler Silas Inoue lebt und arbeitet in Kopenhagen. 2022 war er Stipendiat am International Studio & Curatorial Program in New York City und verbrachte 2018 drei Monate als Stipendiat am 18th Street Arts Center in Los Angeles. Er zeigte unter anderem im Horsens Kunstmuseum, der Augustiana Kunsthal, Ulterior Gallery in New York City, im CAPC Museum für Zeitgenössische Kunst in Bordeaux und dem Art Sonje Center in Seoul. Seine Arbeiten sind ferner zu sehen in den Sammlungen des Horsens Art Museum, dem Bornholms Kunstmuseum, dem Sorø Kunstmuseum und des dänischen Statens Kunstfond.